Anfänge des Segelflugs auf dem Wächtersberg
Erinnerungen eines 94-jährigen Flugveterans an die Anfänge des Segelflugs auf dem Wächtersberg
Der 94-jährige ehemalige Segelfliegerpilot Hans Leipner hatte im Februar Kontakt mit dem Flugsportverein Wächtersberg aufgenommen, um über die Anfänge des Segelflugs auf dem Wächtersberg zu berichten. Dieses Angebot nahmen der erste Vorsitzende Dr. Christian Hentschel und der Pressereferent Klaus Seidel gerne an.
Angefangen hatte der Flugsport für Hans Leipner im Jahre 1931. Er wohnte direkt gegenüber dem Böblinger Flugplatz, wo auch der Jugendfliegerhorst beheimatet war. Ein Major Palmer hat damals dafür gesorgt, dass arbeitslose Segelflieger eine Ausbildung im Jugendfliegerhorst bekamen. Dort traf Hans Leipner auf Emil Hörmann vom Wächtersberg. Der hatte am 1.01.1929 mit sechs weiteren Kameraden die Flug- und Arbeitsgruppe Wildberg (FAG) gegründet, den Vorläufer des heutigen Flugsportvereins Wächtersberg.
Emil Hörmann lud die Sindelfinger Flieger 1932 ein, auch einmal auf dem Wächtersberg zu fliegen. Die Sindelfinger Segelflieger nahmen diesen Vorschlag gerne an, da sie bisher nur an kleinen Hängen am Goldberg und im Maurener Tal geflogen waren. Wegen der kleinen Hügel dauerte ein Flug mit dem offenen Schulgleiter, der mit Gummiseilen gestartet wurde, maximal 30 Sekunden. Obwohl der Wächtersberg 29 km entfernt war, waren alle froh, mal an einem richtigen Hang fliegen zu können. Hier konnte man dann auch die A-Prüfung, die erste Segelfliegerprüfung ablegen, was am Goldberg und im Maurener Tal wegen der zu kurzen Flugzeit nicht möglich war.
Ein Gummiseilstart auf dem Wächtersberg den Hang hinunter dauerte normalerweise 60 Sekunden und damit doppelt so lange wie auf dem Goldberg. Gestartet wurde auf dem heutigen Modellflugplatz. Das ultimative Flugerlebnis mit viel längeren Flugzeiten wurde bei Westwind erreicht. Hans Leipner war der Erste, der auf dem Wächtersberg mit dem Schulgleiter Grunau 9 eine Stunde Flugzeit geschafft hat! Noch heute leuchten seine Augen, wenn er von diesem unglaublich herrlichen Flug erzählt.
Hans berichtet weiter, wie er einmal aus 200 m Höhe von seinen Schulgleiter aus einen Gummiseilstart unter sich beobachtete. Der Pilot startete mit der „Grünen Post“, einem von der Böblinger Fluggruppe selbst gebauten Flugzeug. Gleich nach dem Start geriet das Segelflugzeug ins Trudeln und stürzte dann in den Hang ab. Das Flugzeug war nicht mehr zu reparieren, es entstand ein Totalschaden. Der Pilot war nur leicht verletzt und kam für acht Tage ins Krankenhaus. Die Absturzursache war wahrscheinlich eine zu geringe Geschwindigkeit. Da es zu dieser Zeit noch keine Instrumente zur Geschwindigkeitsanzeige gab, schätzte man die Geschwindigkeit nach den Windgeräuschen an den Spanndrähten. Sicherlich keine leichte Aufgabe.
Abenteuerlich war der Transport des Schulgleiters von Sindelfingen zum Wächtersberg.
Als Transportwagen benutze man ein selbst gebautes offenes Fahrzeug mit einem Rahmen aus Brettern. Zur Stabilisierung war das Fahrzeug mit Drähten verspannt. In der Mitte befand sich die Achse mit zwei Rädern und vorne eine Zuggabel. Der Schulgleiter wurde auf dem Transportwagen verstaut und mit Gurten befestigt.
Am Samstag früh begann dann der Transport zum Wächtersberg. Vorne an der Zuggabel wurde ein Querholz montiert und dieses links und rechts an einem Fahrrad befestigt. Zwei Mann positionierten sich mit ihren Fahrrädern links und rechts an den Seiten und zwei weitere Kameraden stellten sich hinter dem Transportwagen auf. Dann startete der Anhänger, gezogen und geschoben von sechs Piloten auf Fahrrädern. Die Fahrt ging von Sindelfingen über Ehningen, Gärtringen, Deckenpfronn und Wildberg zum Wächtersberg. Für die Bewohner der durchfahrenen Orte war der Anblick dieses seltsamen Gefährts jedes Mal das größte Erlebnis der Woche. Die Leute strömten zusammen und bewunderten staunend den Spezialtransport. Die Fahrt über 29 km dauerte weit mehr als eine Stunde. So ein Transport war nur möglich, weil es damals kaum Autoverkehr auf den Strassen gab. Trotz des beschwerlichen Transports nahmen die Sindelfinger Flieger gerne diese Strapazen auf sich, um endlich an einem richtigen Hang fliegen zu können. Das Motto lautete: nur Fliegen ist schöner.
Um am Samstagabend nicht mit den Fahrrädern zurück nach Sindelfingen fahren zu müssen, wurde oft in der Wächtersberger Werkstatt auf Strohsäcken oder bei bekannten Flieger-Kameraden geschlafen. Am Sonntag, wenn das Wochenende vorbei war, wurde der Schulgleiter wieder zurück nach Sindelfingen transportiert. Bis 1936 flog Hans Leipner regelmäßig auf dem Wächtersberg. Dann zog er nach dem erfolgreichen Abschluss seiner Lehre nach Berlin um.
Da von dem exotischen Transportwagen leider keine Fotos existieren, hat der Zeichner der Böblinger Kreiszeitung und Wächtersberger Fluglehrer Heinz Krebs diese Situation nach Angaben von Hans Leipner in einer Zeichnung nachgebildet.
Hans Leipner wird am 13. Juni 2012 95 Jahre alt.
Wir wünschen ihm noch viele schöne Jahre im Kreise seiner Familie.
Hans, vielen Dank für Deinen interessanten Erlebnisbericht. Wir haben uns sehr darüber gefreut und staunen noch heute über die fast unglaubliche Geschichte des speziellen Segelfiegertransports.